Ein Alemannen-Krieger, der vielleicht älteste Marktoberdorfer

Hannelore Leonhart, die zweite Vorsitzende unseres Heimatvereins und eine unserer Museumsaufsichten, hat das Alemannenskelett mit Grabbeigaben in Raum 104 des Stadtmuseums als ihr Lieblingsstück benannt. Begründet hat sie ihre Vorliebe so:

„Da wir zu der Zeit als die Ausgrabungen stattfanden im Jörglweg wohnten und somit sehr nahe am Ort dieses Geschehens, sind wir als Kinder fast täglich zur Ausgrabungsstätte gegangen, um zu erfahren, was wieder „Neues“ gefunden wurde. Der Ausgrabungsort war nur durch ein Flatterband abgegrenzt und oft gaben uns „nette“ Archäologen ein paar Knochen, aber auch schon mal einen Totenkopf in die Hand. Sie hatten Spaß, wenn wir erschraken.“

Ein sehr eindrückliches Lieblingsstück hat sich unsere Hanne da auserkoren. Gebettet in Erde sind in unserem Museum die sterblichen Überreste eines Alemannenkriegers aus dem 6./7. Jahrhundert ausgestellt. Begraben wurde er seinerzeit bekleidet und mit seinen besten Waffen, seiner Spatha (das war ein zweischneidiges Langschwert) und seiner Sax (ein einschneidiges Kurzschwert). Auch eine Lanze und einen Schild hatte er bei sich und er trug einen Gürtel. Erhalten geblieben sind nur sein Knochenskelett und die Metallteile seiner Waffen. So wurde nur die Lanzenspitze, die sogenannte „Saufeder“ gefunden, nicht aber ihr Stiel. Der hölzerne Schild fehlt, vorhanden ist nur noch der metallene Schildbuckel. Auch Kleidung und Gürtel fehlen. Erhalten sind aber die Gürtelschnallen. Bemerkenswert ist auch, was seinem Grab nicht beigegeben war: Er trug keine Sporen, was darauf hindeutet, dass er kein Pferd besaß. Und sein Grab enthielt kein Kreuz oder sonstige Anzeichen dafür, dass er ein Christ war.

So spannend wie das Skelett mit seinen Beigaben ist auch die Geschichte, wie es in unser Museum gekommen ist: Im Herbst des Jahres 1960 wurde in Augsburg eine Außenstelle der Abteilung für Vor- und Frühgeschichte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege eingerichtet. Keine zehnTage vergingen, bis sich dort die Nachricht von der Entdeckung eines Gräberfeldes in Marktoberdorf einstellte. Was war geschehen? Ende der 1950er Jahre war in Marktoberdorf ein Baugebiet nördlich des damaligen Krankenhauses ausgewiesen worden. Erste Parzellen wurden bebaut, bei anderen die Baugruben ausgehoben, ohne Auffälligkeiten. Parallel dazu sollte ein Kanal in der zukünftigen Gustav-Kriß-Straße (heute: Alemannenstraße) verlegt werden. Dabei fiel dem Baggerführer plötzlich ein menschliches Skelett auf, das er mit seiner Baggerschaufel freigelegt hatte. Schulrat a.D. Alois Regner wurde verständigt, der erste Gegenstände sicherstellte, das Landesamt für Denkmalpflege verständigte und begann, mit Unterstützung des Heimatvereins und des Archäologiestudenten Rainer Christlein (letzterer war der Sohn des evangelischen Pfarrers von Marktoberdorf und gerade zu Hause auf Besuch) die ersten gefährdeten Gräber zu bergen. Bürgermeister Schmid wurde verständigt und ein Baustopp verhängt – sehr zum Ärger der Bauwilligen. Schon am 11.10.1960 traf die Meldung ein, dass das Landesamt für Denkmalpflege die Ausgrabung übernehmen würde. Die Fundstätte entpuppte sich als ein alemannisches Reihengräberfeld aus dem 6. und 7. Jahrhundert nach Christus. 238 Gräber wurden in drei Grabungsabschnitten bis zum 26.04.1962 ausgegraben. Die Grabbeigaben wurden in der Konservierungsanstalt des Landesamtes für Denkmalpflege konserviert und gelangten dann in das Römische Museum Augsburg. Die Knochenfunde kamen ins anthropologische Institut des Landesamts für Denkmalpflege in München.

Herta Dürr aus Marktoberdorf kann sich noch gut an die Ausgrabungen erinnern. Ihr und ihrem mittlerweile verstorbenen Mann Rudolf gehört das Haus Nr. 6 in der Alemannenstraße. Als sie einzogen, brachte ein Bauer ihre Möbel noch über die grüne Wiese zu ihrem neuen Häuschen: Die Alemannenstraße gab es noch nicht. Kurz darauf wurden beim Straßenbau die Alemannengräber entdeckt. Für die Familie Dürr bedeutete das, dass ihr Grundstück bis zu den Hausfundamenten zum Grabungsfeld wurde. Erreichen konnten sie es nur noch von Norden über die Wiese. 

Ein Archäologenteam mit Verstärkung durch Studenten, so um die 10 Personen, grub die 238 Gräber aus, unter großem Interesse der Marktoberdorfer Bevölkerung. Es war ein kalter Herbst und Winter. Frau Dürr kochte regelmäßig heißen Kaffee und Tee für die Ausgräber und lud sie auch immer wieder zu einem warmen Essen ein. Ihr Mann, Mitglied im Heimatverein und sehr geschichtsinteressiert, verfolgte die Ausgrabungen aufs genaueste und fachsimpelte mit den Archäologen. So erlebte die Familie Dürr hautnah die Freude mit, wenn wieder einmal ein besonderer Fund gemacht wurde: „Sehen Sie nur, was wir Schönes gefunden haben“, habe der Ausgrabungsleiter einmal zu ihr gesagt und ihr unscheinbare Erdklumpen auf die Hand gelegt. Nachdem Sie unter warmem Wasser abgewaschen worden waren, entpuppten sie sich als farbenfrohe Alemannenperlen.

 

Nach der Aufarbeitung der Funde bemühte sich Rudolf Dürr jahrelang und ausdauernd darum, dass wenigstens ein Teil der Fundstücke wieder zurück an ihren Fundort kam. Seine Hartnäckigkeit wurde schließlich belohnt: 1968 kamen Grabbeigaben nach Marktoberdorf zurück. Museumsleiter Erich Fromm integrierte sie in die Ausstellung des Heimatmuseums im alten Rathaus. Erst 1989, als schon der Umzug des Heimatmuseums ins Martinsheim vorbereitet wurde, kam auch ein Skelett zurück. Damals löste gerade Emilie Eigler Erich Fromm als ehrenamtlichen Museumsleiter ab. Sie erinnert sich, dass sie damals die Alemannenbeigaben mit Hilfe von Mitgliedern des Heimatvereins anhand der Unterlagen aus München inventarisierte, sie ausmaß und fotografierte. Auch wie die Museumsvitrine des Alemannenskeletts vorbereitet wurde, weiß sie noch genau: „Es sollte geschützt ausgestellt werden und so, dass es dauerhaft erhalten bleibt. Dafür musste die Erde sterilisiert werden, so dass keine Organismen oder Keime mehr aufkommen konnten. So trug ich zwei Eimer Erde nach Hause, die ich im Backofen erhitzen wollte. Ich hatte nicht mit dem Widerstand meines ansonsten sehr toleranten Mannes gerechnet: Der Dreck kommt mir nicht in meinen Backofen“, schimpfte er und ich stand da mit meiner Erde. Schließlich brachte ich sie zur Auger Rosa, die war alleinstehend und auch Mitglied im Heimatverein. Bei ihr schimpfte niemand und sie hat die Erde dann sterilisiert. Sie hat ihre Sache gut gemacht: Bis heute ruht das Alemannenskelett unbeeinträchtigt in seinem neuen Ausstellungsgrab.“ Von der alemannischen Wohnsiedlung, die es irgendwo im Umfeld des Friedhofs gegeben haben muss, wurde leider nie eine Spur gefunden.

 

Marktoberdorf, 26.01.2022

Kornelia Hieber

Heimatverein Marktoberdorf

 

Literatur:

Christlein, Rainer: Das alamannische Reihengräberfeld von Marktoberdorf im Allgäu,

Kallmünz/Opf. 1966.

(Das Buch enthält den archäologischen Grabungsbericht mit vielen Bildern und Zeichnungen; es kann in der Stadtbücherei Marktoberdorf ausgeliehen werden.)

 

                                                                                                        

 

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